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20.11.18 Wespennest

Prediger und Kanzelredner kennen keine Erfolgserlebnisse. Jedenfalls nicht in der Form, wie sie für jeden Handwerker selbstverständlich sind. Sich im Produkt seiner Arbeit erkennen, gar in ihr wiederfinden? Ein Holzweg für den, der predigend sein täglich Brot verdienen muß. Warum er dennoch daran festhält? Vielleicht, weil sich in seinem privaten Vater Unser die Zeile findet: Unser täglich Illusion gib uns heute.

Was habe ich in diesem Jahr nicht gegen die Wespen-Verachtung und Wespen-Angst am Telefon angepredigt! Wenn Sie Einzelheiten interessieren, finden Sie die auf diesen Seiten. Die Zeitverschwendung hättest du dir sparen können, sagte ich mir wiederholt. Und predigte dennoch unverdrossen weiter.

Gestern nun klingelte es. Ein Unbekannter stand vor der Tür. Vorsichtig hielt er in der Hand das Wespennest, das Sie hier sehen. Vorsichtig deshalb, nicht, weil noch Tiere darin wären, sondern weil das kunstvolle Gebilde zerbrechlich ist wie ein Baissier. „Das wollte ich Ihnen schenken; Sie hatten mir am Telefon den Rat gegeben, das Nest in meinem Schuppen nicht zu entfernen, sondern die Tiere zu beobachten. Keine Wespe hat mich oder einen Familienangehörigen gestochen“.

Jetzt war das Wespennest leer. In den Sommermonaten diente es als Wiege für eine ganze Generation junger Insekten. Wo ihre Königin überlebt, wüßte ich gerne. Jedenfalls ganz anders wie die staatenbildenden Bienen auf ihren Waben, wo die Königin inmitten der Wintertraube – hoffentlich – gut gewärmt überlebt.

Ich fand vor Jahren in ähnliches Wespennest in meinem Garten. An Schönheit und Farbigkeit aber hielt es keinen Vergleich zu dem aparten und eleganten Gebilde stand, das mir mein Besucher schenkte. Ein Hieb mit dem Schnabel eines Vogels – und mit der ganzen Herrlichkeit wäre es vorbei. Um von Zugriff und der Brutalität einer menschlichen Hand gar nicht zu reden.

Ich will mir das gar nicht weiter ausmalen, um mir nicht selbst die Andacht vor der Kunst der Wespen zu vergiften und zu zerstören.