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27.2.17 Dichtestress

Gerne räumen wir ein, dass das meiste, was wir über das Leben der Bienen wissen, auf die Veröffentlichungen des renommierten Würzburger Forschers Jürgen Tautz zurückgeht. Seinen Hinweis, dass der Bien ein »Säugetier ehrenhalber« ist, halten wir für wesentlich. Dann haben wir uns gemerkt, dass nach seiner Überzeugung zu den größten Stressoren der Bienen ihr Herr, der Imker gehört.

Stressoren lösen Stress aus.

Wie der sich bei den Bienen manifestiert soll im Folgenden plausibel gemacht werden. Mehr ist in unserem Rahmen nicht möglich, weil eine systematische Stressforschung, die diesen Namen verdient, für die Nektar- und Pollensammlerinnen nicht existiert. Was wir aber doch wissen, bietet Erklärungen für bisher kaum zu deutende Phänomene und zwingt zur Überprüfung von bisherigen Standards in der Bienenhaltung.

Doch der Reihe nach. Bienen leben – warum auch immer – praktisch nur noch unter den Bedingungen von Imkern. Dazu zählen in der Regel

  • viereckige, stapelbare Kästen statt runde, hohle Baumstämme;
  • Holzrähmchen, die die Kommunikation im Bien mittels Vibration erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen;
  • die Verhinderung von Schwärmen als die natürliche Form der Vermehrung;
  • Temperaturschwankungen durch ständige Nachschau;
  • gezielte Eingriffe in das Brutnest;
  • die Bekämpfung der Varroa-Milbe durch Drohnenbrutschneiden und Einsatz von Säuren;
  • Transport von Bienenvölkern über Hunderte von Kilometern zur Honiggewinnung („Wandern“) mit den dabei unvermeidlichen starken Erschütterungen und Temperaturschwankungen.

Gestresste Königinnen

Jeder Imker, der sich schon einmal eine begattete Königin per Post hat schicken lassen, weiß, wie sich Stress bei Bienen zeigt und auswirkt. Die Königin plus einige Begleitbienen wird vom Postboten in einem Plastikkäfig von der Größe zweier Streichholzschachteln gebracht. Darin ist sie ein- bis zwei Tage unterwegs. Wie sie sich bewegt, läßt an Tiger vor den Gitterstäben im Zoo denken. Ist die Königin schließlich in das neue Volk eingeweiselt, beginnt sie erst nach über einer Woche zu legen. Eine Königin dagegen, die man von einem Nachbar-Imker schnell geholt hat, fängt damit sofort an. Merkpunkt auch für später: Extremer Stress reduziert die reproduktive Potenz.

Es wäre viel gewonnen, wenn dabei in der Imker-Brust wenigstens ein schlechtes Gewissen schlagen würde. Tut es aber kaum, denn alles ist dem Gewinn, sprich der Ernte von Bienenprodukten untergeordnet. Manche Begriffe wirken wie ein Offenbarungseid: Der Imker hält seine Bienen in Beuten.

Bienen können, wie alle anderen Säugetiere auch, eine ganze Menge Stress vertragen. Doch irgendwann erfolgt der Umschlag von Quantität in Qualität um ein Gesetz der Dialektik zu bemühen. Von der ist jetzt unter Stichwort CCD (Colonie collapse disorder) zu reden (s. Blog ). Was eine Invasion ist, weiß jeder. Imker müssen nun schmerzhaft lernen, dass es auch eine Evasion gibt. Da verlassen Lebewesen aus erkennbaren Gründen (s.u) ihre bisherige Umgebung bzw. weichen belastenden Rahmenbedingungen aus.

Die Biologie kennt seit langem den Dichtestress. Ein Paradebeispiel sind die Sika-Hirsche von der St. James-Insel. Die kamen ursprünglich aus Asien. Zuerst waren es lediglich vier Exemplare. Die vermehrten sich so stark, dass bald 300 Tiere auf der Insel lebten. Die waren eigentlich kerngesund, doch bald war die Hälfte tot. Die anderen bekämpften sich gegenseitig. srf.ch

„Ähnliche Beobachtungen gibt es auch bei Feldmäusen und vielen anderen Tieren, die dazu neigen, sich stark zu vermehren“. So manifestiert sich Dichtestress. „Bei einigen Tieren führt er vor allem zu einer reduzierten Fruchtbarkeit und weniger Geburten. Der Effekt ist jedoch immer der gleiche: Der Dichtestress sorgt für eine natürliche Regulation“ der Population.

Die Wirkung von Dichtestress hat man auch in mehreren, eigentlich schrecklichen Versuchen mit Ratten erprobt. Von denen weiß man, dass sie über ein besonders ausgeprägtes Sozialverhalten verfügen. Man hält die Tiere in einem größeren, unentrinnbaren Gehege. Zunächst vermehren sie sich stark, doch dann stellen sie die Reproduktion ein. Manche werden auch „homosexuell“ – wenn der auf Ratten nicht ganz passende Begriff einmal erlaubt sei. Irgendwann wirken sie auf den Beobachter nur noch apathisch, um sich am Ende wechselseitig zu kannibalisieren.
Wenn Sie sich über Einzelheiten der Experimente informieren möchten:

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Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Mechanismen des Dichtestress mögen brutal anmuten, doch ihr Sinn leuchtet unmittelbar ein. Im Laufe von der Evolutionsgeschichte entwickelt, haben sie sich bei der Regulation und Begrenzung einer Population bewährt. Das ist in der Biologie unstrittig.

Doch nun zu den Bienen. In den Imkerforen taucht immer mal wieder die Frage auf, wie viele Bienenvölker eigentlich auf einem Standort untergebracht werden können. Da gibt es viel Schulterzucken, und die Antworten fallen stets vage aus. Fünf, zehn, zwanzig? So recht scheint niemand Bescheid zu wissen. Was die Damen und Herren Imker aber gar nicht zu beunruhigen scheint. Wichtig ist ihnen nur der Hinweis, dass man seitlich genug Platz für die notwendigen Eingriffe lassen sollte.

Wenn die These von dem Säugetiercharakter des Bien zutreffend ist – und wir sind davon zutiefst überzeugt – und die Rede von Stress im Zusammenhang von Bienen nicht sinnfrei ist, dann muss es logischerweise auch bei Ihnen einen Dichtestress geben. Nur, wo dessen Grenzen verlaufen, scheint bisher nicht klar zu sein. Vielleicht ist es vergleichbar mit der Alkoholabhängigkeit, die auch erst manifest wird, wenn man die Grenze zu ihr unmerklich überschritten hat?
In den USA lebt der begnadete Bienenforscher
Thomas D. Seeley
Dem geht es in dem Bericht zunächst um das Problem der Schwarmverhinderung und die Varroabekämpfung. «Wenn die Imker ihre Bienenvölker nur zehn bis zwanzig Meter auseinanderstellen würden, könnte die Varroa schon wirksam reduziert werden», erklärt der Forscher.

Das lässt aufhorchen: «Wir haben zwei Gruppen von Bienenvölkern ohne Varroa-Behandlung beobachtet. In der ersten Gruppe stellten wir die Bienenbeuten nahe zusammen, in der zweiten Gruppen je zehn bis zwanzig Meter auseinander. In der dicht aufgestellten Gruppe starben die Völker weg, weil die nahen Nachbarn sofort mit Varroa infiziert wurden. In der locker aufgestellten Gruppe blieb die Varroa-Population unter der kritischen Grenze und die Völker überlebten.» Doch der Gedanke soll hier nur gestreift werden.

Wie elektrisiert lasen wir dann bei Thomas D. Seeley, dass wilde Bienenvölker mindestens 850 Meter voneinander Abstand halten. Die logische Folgerung daraus lautet: Je mehr sich der Abstand verringert umso eher stellt sich Dichtestress ein. Die Gründe dafür können nur in der evolutionären Entwicklung der Bienen liegen. Wobei die auch unter der Herrschaft von Imkern immer als wild – weil unzähmbar – zu gelten haben.Was den Abstand von Bienenvölkern untereinander betrifft, wären 850 Meter dann das Referenzmaß für den gesunden, natürlichen Abstand von Bienenvölkern.

Wo beginnt nun der messbare Dichtestress mit seinen immer gravierenderen Folgen? Das läßt sich im Blick auf die Bienen genauso wenig in Zahlen ausdrücken wie bei den Ratten. Dichtestress ist stets ein dynamisches Geschehen. Nur von CCD als einer letztlich unbekannten Größe sollte man nicht mehr reden. Ein unerklärliches, massenhaftes Bienensterben gibt es nicht. Man sollte auch aufhören, die üblichen Verdächtigen von den Pestiziden bis zu den Handystrahlen verantwortlich zu machen. Die Imker stehen in der Verantwortung. Wenn Völker der Reihe nach wegsterben liegt der Grund offen zu Tage: Es ist der Dichtestress.

Stimmt die These – und wir sind davon überzeugt – dann müssen die möglichen Folgerungen für eine alltagstaugliche Imkerei bedacht werden. Davor wollen wir uns nicht drücken. Doch soll das in einem weiteren Blog-Eintrag geschehen.