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4.3.17 Die Wabe

Die Wabe, Auszug aus „Der Stechlin“ von Theodor Fontane von 1899

s. auch Blogeintrag vom 15.2.

Zu den Personen: Dubslav v. Stechlin, Major a.D.
Engelke, sein vertrauter Diener
Lehrer und Imker Krippenstapel
Die Buschen, galt als Hexe, Dubslav ließ sie kommen, als er Wasser in den Beinen hatte; sie verordnete im Bärlapp und Katzenpfötchen als Tee
Lorenzen, Pastor und Freund
Sponholz, Arzt

Himmelwetter, Krippenstapel, Sie werden mir doch nich ‘ne Krankensuppe gekocht haben?«
»Nein, Herr Major, keine Krankensuppe. Gewiß nicht. Und doch is es einigermaßen so was. Es ist nämlich ‘ne Wabe. Habe da heute mittag einen von meinen Stöcken ausgenommen und wollte mir erlaubt haben, Ihnen die beste Wabe zu bringen. Es ist beinah so was wie der mittelalterliche Zehnte. Der Zehnte, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, war eigentlich was Feineres als Geld.«
»Find’ ich auch. Aber die heutige Menschheit hat für so was Feines gar keinen Sinn mehr. Immer alles bar und nochmal bar. Oh, das gemeine Geld! Das heißt, wenn man keins hat; wenn man’s hat, ist es soweit ganz gut. Und daß Sie gleich an Ihren alten Patron – ein Wort, das übrigens vielleicht zu hoch gegriffen ist und unser Verhältnis nicht recht ausdrückt – gedacht haben! Lorenzen wird es hoffentlich nicht übelnehmen, daß ich Sie, wenn ich mich Ihren ›Patron‹ nenne, so gleichsam avancieren lasse. Ja, das mit der Wabe. Freut mich aufrichtig. Aber ich werde mich wohl nicht drüber hermachen dürfen. Immer heißt es: › Das nicht.‹ Erst hat mir Sponholz alles verboten und nu die Buschen, und so leb’ ich eigentlich bloß noch von Bärlapp und Katzenpfötchen.«
»Am Ende geht es doch«, sagte Krippenstapel. »Ich weiß wohl, in eine richtige Kur darf der Laie nicht eingreifen. Aber der Honig macht vielleicht ‘ne Ausnahme. Richtiger Honig ist wie gute Medizin und hat die ganze Heilkraft der Natur.«
»Is denn aber nicht auch was drin, was besser fehlte?«
»Nein, Herr Major. Ich sehe die Bienen oft schwärmen und sammeln, und seh’ auch, wie sie sammeln und wo sie sammeln. Da sind voran die Linden und Akazien und das Heidekraut. Nu, die sind die reine Unschuld; davon red’ ich gar nicht erst. Aber nun sollten Sie die Biene sehn, wenn sie sich auf eine giftige Blume, sagen wir zum Beispiel auf den Venuswagen, niederläßt. Und in jedem Venuswagen, besonders in dem roten (aber doch auch in dem blauen), sitzt viel Gift.«
»Venuswagen; kann ich mir denken. Und wie sammelt da die Biene?«
»Sie nimmt nie das Gift, sie nimmt immer bloß die Heilkraft.«
»Na, Sie müssen es wissen, Krippenstapel. Und auf Ihre Verantwortung hin will ich mir den Honig auch schmecken lassen, und die Buschen muß sich drin finden und sich wohl oder übel zufriedengeben…

Dann rief er Engelke, daß er den Honig herausnehme. Krippenstapel aber verabschiedete sich, seine leere Terrine vorsichtig im Arm.
Dubslav hatte sich über Krippenstapels Besuch und sein Geschenk aufrichtig gefreut, weil es ja das Beste war, was ihm die alte treue Seele bringen konnte. Er bestand denn auch darauf (trotzdem Engelke, der ein Vorurteil gegen alles Süße hatte, dagegen war), daß ihm die Wabe jeden Morgen auf den Frühstückstisch gestellt werde.
»Siehst du, Engelke«, sagte er nach einer Woche, »daß ich mich wieder wohler fühle, das macht die Wabe. Denn man muß jedes Fisselchen mitessen, Wachs und alles, das hat er mir eigens gesagt. Das is grad so wie beim Apfel die Schale; das hat die Natur so gewollt, und is ein Fingerzeig und muß respektiert werden.«
»Ich bin aber doch für abschälen«, sagte Engelke. »Wenn man so sieht, was mitunter alles dran ist…«
»Ja, Engelke, ich weiß nicht, du bist jetzt so fein geworden. Aber ich bin noch ganz altmodisch. Und dann glaub’ ich nebenher wirklich, daß in dem Wachs die richtige ›gesamte Heilkraft der Natur‹ steckt, fast noch mehr als in dem Honig. Krippenstapel übrigens is jetzt auch so furchtbar gebildet und hat so viele feine Wendungen, wie zum Beispiel die mit der ›gesamten Heilkraft‹. Aber so fein wie du is er doch noch lange nicht, darauf will ich mich verschwören. Und auch darauf, daß er sich keine Birne schält.«
In dieser guten Laune verblieb Dubslav eine ganze Weile, sich mehr und mehr zurechtlegend, daß er sich die Quälerei mit all dem andern Zeug eigentlich hätte sparen können; »denn wenn alles drin ist, so ist doch auch Bärlapp und Katzenpfötchen drin und natürlich auch Fingerhut oder wie Sponholz sagt: ›Die Digitalis.‹« Engelke freilich wollte von diesen Sophistereien nichts wissen, sein Herr aber ließ sich durch solche Zweifel nicht stören und fuhr vielmehr fort: »Und dann, Engelke, macht es doch auch einen Unterschied, von wem eine Sache kommt. Die Katzenpfötchen kommen von der Buschen, und die Wabe kommt von Krippenstapel. Das heißt also, hinter der Wabe steht ein guter Geist, und hinter den Katzenpfötchen steht ein böser Geist. Und das kannst du mir glauben, an solchen Rätselhaftigkeiten liegt sehr viel im Leben…