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15.12.19 Göttliche Ernährung

Wer braucht das denn, fragte mich die hochbegabte Studentin als ich ihr vorschlug, nach drei modernen Fremdsprachen auf jeden Fall noch Altgriechisch zu lernen. Doch sie wollte davon nichts wissen. Meine Begründungen perlten an ihr genauso ab wie das Angebot einer finanziellen Prämie.

Ich behaupte: Wer von den Göttern Griechenlands keine Ahnung & von der griechischen Philosophie keinen blassen Dunst hat sowie bei den Dichtungen Homers nur mit den Schultern zuckt, kann auch unsere moderne Welt nur oberflächlich verstehen. Natürlich können Sie sich jetzt stirnrunzeln fragen, was – Griechen hin oder her – solche Bildungshuberei in einem Blog zu suchen hat, der sich mit Bienen und Honig beschäftigt. Ich behaupte: Sehr viel. Wobei ich hoffe, dass Sie mir nach ein paar Absätzen zustimmen werden.

Sie müssen nur ein paar Vokabeln lernen. Von Nektar und Ambrosia haben Sie schon gelesen. Richtig: Es ist die den Göttern vorbehaltene Speise, die sie unsterblich macht.

Melissa haben Sie bestimmt auch schon mal als Vorname gehört – spätestens als eine Melissa bei „Love Islands“ mit Pietro Lombardi rummachte. Jetzt müssen Sie sich nur noch merken, dass im Altgriechischen Melissa Biene heißt. Das soll an der Stelle reichen.

Wenn Sie nun noch abspeichern, dass Meli in den unterschiedlichsten Zusammensetzungen Honig heißt sind Sie fit, um die griechische Mythologie zu verstehen. Jedenfalls, was die lebensschaffende und lebenserhaltende Wirkung der komplexen Götternahrung betrifft. So viel schon an dieser Stelle: Damit sind Sie Wahrheiten auf der Spur, die Ihnen auch die differenzierteste Honiganalyse eines lebenmitteltechnischen Labors nicht vermitteln kann.

Beginnen wollen wir mit Meliteus, dessen Namen Sie sich jetzt bereits erklären können. In der griechischen Mythologie ist er der sagenhafte Gründer der Stadt Melitaia. Meliteus ist das Produkt eines göttlichen Seitensprungs. Sein Vater ist nicht irgendein Gott, sondern der oberste von ihnen d.h. Zeus selbst.

Der war bekanntlich ein notorischer Fremdgeher, wie die griechische Mythologie in unterschiedlichen Variationen berichtet. Diesmal hatte die Nymphe Othreis seine Hormone (auch so ein griechisches Wort) in Wallung gebracht. Aus Furcht vor Hera, der eifersüchtigen Gattin von Zeus, hatte sie die Frucht der Affäre irgendwo in der Wildnis ausgesetzt.

Doch der Knabe starb nicht, wie man es eigentlich erwarten müßte. Vielmehr sorgte Zeus dafür, dass er von Bienen mit Honig genährt wurde. Als Phagros, ein Sohn des Apollon, ihn zusammen mit seiner Mutter schließlich in der Wildnis finden, staunen sie nicht schlecht: Der Knabe war ein wohlgenährter Wonneproppen. Auf Apollon wiederum geht das Orakel zurück, dass sein Sohn dermaleinst einen von Bienen genährten Knaben retten soll. Daran erinnert sich Phagros, nimmt das Kind bei sich auf und gibt im den Namen Meliteus.

Woher, so muß an der Stelle gefragt werden, wußte denn Zeus, dass man ausgesetzte Knaben mit Honig ernähren und so vor dem sicheren Tod bewahren kann? Ganz einfach: Er hatte es am eigenen Leib erfahren. Sein Vater war der Titan Kronos. In seiner unersättlichen Geilheit bedrängte der seine Gattin Gaja rund um die Uhr.

Um seiner Mutter zu helfen und sie vor weiteren Nachstellungen ihres wüsten Gatten zu retten, entmannt er seinen Vater Uranos mit einer Sichel. Der wiederum verfluchte den Sohn für seine Tat: Ihm solle dasselbe von seinen Kindern geschehen.

So geht die Geschichte in die zweite Runde. Kronos frißt ein Kind nach dem anderen, das er mit seiner Gattin Rhea gezeugt hatte. Als sie nun wieder schwanger ist, weiß sie sich keinen anderen Rat als zu fliehen. Ihr Ziel ist Kreta. In einer engen Höhle gebiert sie dort den Knaben Zeus.

Der wüste Kronos hat einen Riecher, aber er gelangt wegen seiner Größe nicht in das Versteck. Eigentlich befindet sich das Kind in einer tödlichen Falle. Keine Überlebenschance im inneren der Höhle und draußen der rasende & gefräßige Kronos. Aber auch in der scheinbar ausweglosen Lage wissen die Götter rat.

Es erscheinen zwei rettende Nymphen. Die eine heißt Amaltheia, die andere Melissa (Sie erinnern sich). Ihre Namen sind Programm. Amaltheia heißt auf Griechisch „göttliche weiße Ziege“. Mit ihrer Milch ernährte sie den Knaben. In einer Version der Geschichte, trinkt er aus einem ihrer Hörner Nektar und Ambrosia, in einer anderen Fassung tritt die Nymphe Melissa auf und bringt dem Knaben einen Schwarm Bienen mit köstlichem Berghonig. Wie auch immer die der Geschichte ausgestaltet wurde: Zeus überlebt mit Milch und Honig.

Jahre später stand bei den Göttern eine Dppelhochzeit ins Haus. So setzt die herrliche Schilderung von Stephen Fry ein, in der er von Melissa und der Präsentation ihres unsterblich machenden Honigs vor den Göttern im Allgemeinen und Zeuss im Besonderen erzählt.

Stephen Fry ist von Haus aus Schauspieler, Kolumnist und Regisseur. Manche stört das, sie hätten lieber einen Althistoriker als Autor gesehen. Wir nicht. Denn der Mann kann erzählen. Das merkt man spätestens , wenn man die Hör-CD des „Mythos“ reinschiebt. Machen wir uns nichts vor: Lange bevor Homer um 850 v.Chr. die „Ilias“ und die „Odyssee“ verfaßte, haben Generationen vor ihm die Geschichten von Götter und Menschen mündlich weitergegeben. Dabei ging es nicht um die Tradierung historischer Sachverhalte, die noch kein Publikum vom Hocker gerissen hat. Die Zuhörer aller Generationen begriffen, dass es im Kern um ihr Selbstverständnis und die Sicht auf die Welt, in der sie lebten, ging. Verkleidet in Geschichten, die von ihrer Größe und ihrem Scheitern erzählen, Geschichten, die sie an ihre Grenzen erinnern und ihnen gleichzeitig vor Augen rücken, wie sich die überwinden lassen.

Doch zurück zur griechischen Doppelhochzeit, wie Fry sie erzählt. Zuerst gaben sich Aphrodite und Hephaistos, dann Zeus selbst und Hera das Ja-Wort. Um der Veranstaltung einen zusätzlichen Reiz zu verleihen, lobte Zeus einen Wettbewerb aus: Wer die originellste Hochzeitsspeise beisteuern würde, sollte einen Wunsch frei haben.

Da tischten alle möglichen Tieren ihre Kostbarkeiten auf. Doch den ersten Preis gewann die unscheinbare Melissa. Sie präsentierte den Göttern eine kleine Amphore. Die war mit einem cremigen, bernsteinfarbigen Sirup gefüllt. Zeus kostete und leckte sich danach alle Finger. So etwas Feines – da war er sich ganz sicher – hatte er noch nie auf seiner Zunge gespürt. Dazu noch mit einem Duft, der alle Sinne betörte! Auch Hera war hin und weg. Ehefrau und Ehemann waren sich einig: Honig erhält den Hauptpreis.

Jetzt sollte die kleine Melissa ihren Preis in Empfang nehmen. Vorher allerdings machte sie darauf aufmerksam, wie mühselig es sei, von Blume zu Blume zu fliegen, den verborgenen Nektar aufzusaugen und ihn dann sicher nach Hause zu transportieren. Was gar nicht leicht sei, denn alle versuchten die sechsfüßige Flugkünstlerin zu bestehlen. Bitte gebt mir eine Waffe, bat sie den Göttervater; der Skorpion hat eine, die Schlange auch und der Bär ohnehin. Melissa wünschte sich eine tödliche Waffe, mit der sie alle Honigdiebe erfolgreich abwehren könne.

Zeus gefiel das wichtigtuerische Gerede von Melissa überhaupt nicht und wollte ihr schon die Bitte rundheraus abschlagen. Doch Melissa unterbrach ihn mit schrillem Summen und entgegnete: versprochen ist versprochen. Da hielten alle Party -Besucher den Atem an, denn noch nie hatte jemand die Ehre von Zeus angezweifelt. Was würde der jetzt tun?

Eisig verbündet er seinen Beschluss: Melissa, du sollst nicht alleine arbeiten. Du wirst Königin einer ganzen Kolonie mit unzähligen fleißigen Untergebenen sein. Weiter werde ich dir einen genauso schmerzhaften wie tödlichen Stachel schenken. Melissa wollte schon jubilieren. Da schiebt Zeus hinterher: »Während er dem, den du stichst einen heftigen Schmerz zufügt, wird er dir gleichzeitig den Tod bringen«. Abgang des Göttervaters ohne jede weitere Diskussion.

Melissa bekam ihren tödlich wirkenden Stachel. Doch der bewirkte auch ihren eigenen Tod, wenn sie ihn einsetzte. Warum, so fragten sich alle, kann die Wespe ihren Stachel so oft gebrauchen wie sie will ohne zu sterben? Ganz einfach: Sie hat im Gegensatz zu Melissa den Göttervater auch nicht mit ihrer insistierenden Art genervt.

Das alles war vergessen, als Zeus später Melissas Amphore in die Höhe hebt, sie seiner Ehefrau Hera widmet und dekretiert: »Sie soll nie leer werden. Auf ewig wird sie uns nähren. Wer immer ihren Honig kostet, wird niemals altern oder sterben. Es soll die Speise der Götter und, vermischt mit Fruchtsaft, ihr Trank sein«.

Das griechische Wort für für Unsterblichkeit heißt Ambrosia. In seiner fermentierten, trinkbaren Form nannten es die Griechen Nektar. Schon in ihrem Namen bleibt die Erinnerung an die Blumen erhalten, in in ihrer Schönheit und mit ihrem Duft die ganze Welt erfüllt und glücklich macht.

So jedenfalls, schildert Stephen Fry, was es mit Nektar und Ambrosia auf sich hat. Protokoll hat damals niemand geführt, aber wer würde behaupten wollen, dass alles nicht stimmt? Denn darin waren sich Olympier und Menschen einig: Honig ist eine, was sage ich, die göttliche Gabe schlechthin.