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25.12.16 Honig und der Immanuel

A.M zugeeignet

In zwei Kreisen sind die Verse aus dem Propheten Jesaja durchaus bekannt. Da gibt es zunächst die kunstgeschichtlich Interessierten. „Siehe, eine Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und wird dessen Namen Emanuel nennen. Butter und Honig wird er essen, dass er Böses und Gutes zu unterscheiden wisse“. Der Text befindet sich auf dem berühmten Altarbild “Jüngstes Gericht” von Rogier van der Weyden aus dem 15. Jahrhundert.
intelligentesleben.blogspot.de

Der andere Kreis findet sich unter den regelmäßigen Besuchern der Weihnachtsgottesdienste, jedenfalls der evangelischen. Hier kennt man zumindest Jesaja 7,14 genau, denn der Vers ist immer mal wieder der offizielle Predigttext. So habe auch ich, als Pfarrer inzwischen pensioniert, über den Satz wiederholt von der Kanzel gesprochen. Der Tenor aber war wohl der: Es ist eine Weissagung auf das Kind, das zu Bethlehem zur Welt kam und dessen Geburt wir heute feiern, die Weissagung ist nun in Erfüllung gegangen und Jesus ist der Heiland der Welt, sein Name Immanuel ist Programm: Gott mit uns. So oder ähnlich mögen es die Leute in der Kirche aus meinem Mund gehört haben.

Errötend muss ich heute allerdings gestehen, dass ich den Vers nie im Zusammenhang des Jesaja-Buches gelesen hatte. Hätte ich es getan, wäre meine Predigt ganz bestimmt anders ausgefallen. Andererseits: Wäre ich damals schon Imker gewesen, hätte ich mich wahrscheinlich zu sehr auf die Honig–Frage kapriziert. Das ganze 7. Kapitel des Jesaja-Buches finden Sie, wenn Sie sich selbst kundig machen wollen, hier:
uibk.ac.at

In unserem Zusammenhang läuft alles auf die Frage hinaus, was es mit der Jungfrau, der Butter und dem Honig auf sich hat. Ich verspreche Ihnen eine klare Antwort & detaillierte Belehrung. Doch dafür muss ich etwas ausholen und Sie, verehrte Leser, müssen bereit sein, ein Kapitel aus der Geschichte Israels – und ja, es lässt sich nicht vermeiden – der Juden aufzuschlagen.

Das auserwählte Volk Gottes hatte sich in einem System von zwölf Stämmen (so etwas gab es in der Antike auch andernorts, Dodekanes ist der Fachbegriff dafür) organisiert. Doch die waren sich nicht grün und der Zusammenhalt deshalb fragil. Die Sollbruchstelle verlief zwischen den zehn Stämmen im Norden, die sich später Israel nannten und den zweien im Süden mit dem Namen Juda. Der kluge und gewitzte König David stand vor der Frage, wo er nun seine Residenz aufschlagen sollte. Um Eifersüchteleien aus dem Weg zu gehen lautete seine Antwort: Auf keinem Territorium eines Stammes weder im Norden noch im Süden. Er schaut auf die Landkarte und sah, dass es zwischen beiden eine Stadt namens Jerusalem gab; die gehörte allerdings dem Volk der Jebusiter. Kurzerhand eroberte sie David mit seinen von ihm bezahlten Söldnern. Alle 12 Stämme wussten, dass Jerusalem ein Teil des persönlichen Besitzes von David war, sie also hier nichts zu melden hatten.

Aber die Balance zwischen den beiden Völkern zerbrach bald nach dem Tode Davids und dessen Nachfolgern. Die zehn Stämme im Norden erklärten sich unter dem Namen Israel für unabhängig. Die beiden Südstämme Benjamin und Juda dagegen etablierten sich unter dem Namen Juda. Der war deutlich kleiner als das Nordreich. Seine Könige stammten allerdings, ein klarer Vorteil, aus dem Geschlecht Davids. Deshalb gehörte ihnen auch seine Stadt Jerusalem.

Hier residierte – und nun sind wir schon mittendrin in unserem 7. Kapitel des Jesaja- Buches – König Ahas (741–726 v. Chr). Religiös ging er seine eigenen Wege und gab sich in der Öffentlichkeit tolerant und nach allen Seiten offen. Politisch wollte er, obwohl militärisch schwach, im Kräftespiel des Nahen Ostens sein und seines Volkes Existenz sichern. Das alles missfiel dem Propheten höchlichst. Der gab sich fundamentalistisch und hielt strikt an der traditionellen Linie des Bundes zwischen Jahwe (dessen heiligen Namen man nicht einmal aussprechen durfte) und seinem Volke fest.

Der Konflikt war damit vorprogrammiert. Jesaja mahnte beim König Ahas Glaubenstreue an, doch der hatte dafür nur ein müdes Lächeln, denn er dachte in ganz anderen Kategorien. Sein Problem war, wie er den drohenden Konflikt mit den Syrern und den Stämmen im Norden, die Morgenluft witterten, wenn schon nicht vermeiden, dann doch wenigstens überleben könnte. Da sollte ihm ein Gott helfen können? Lächerlich. Er hatte einen viel besseren Plan. Er wollte sich mit den mächtigen Assyrern verbünden, die die Bedrohung aus Richtung Damaskus neutralisieren könnten.

Als nun Jesaja zu Ahas kam und ihm anbot, doch ein Zeichen von dem alten Gott zu erbitten, dass er auf seiner, also Ahas Seite steht, fiel dem, wie er meinte, etwas ganz Schlaues und religiös Korrektes ein: „Ich will um nichts bitten und den Herrn nicht auf die Probe stellen«.

Jetzt kommt es zum Show-down zwischen beiden. Doch, so lässt sich die Botschaft des Propheten zusammenfassen, ob du willst oder nicht, du bekommst dein Zeichen: Das Land wird verwüstet und deine schöne Stadt von fremden Truppen belagert. Aber das wird nicht das Ende vom Lied sein. Jerusalem wird erst einmal nicht von fremden Truppen erobert werden. Jesaja wörtlich: „Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben. Er wird Butter und Honig essen bis zu der Zeit, in der er versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu wählen. Denn noch bevor das Kind versteht, das Böse zu verwerfen und das Gute zu wählen, wird das Land verödet sein, vor dessen beiden Königen dich das Grauen packt«.

Womit wir – Sie dürfen durchaus sagen: endlich – bei unserem eigentlichen Thema, der Überlebensstrategie mit Butter und Honig, angekommen wären. Dafür brechen wir den historischen Exkurs hier ab. Es bleiben nur noch ein paar Einzelheiten des Hebräischen zu klären. „Eine Jungfrau« meint nicht eine virgo intacta, also ein Mädchen mit intaktem Hymen, sondern schlicht eine junge Frau im gebärfähigen Alter. Statt »eine« dürfen – genauer, müssen Sie – den Plural lesen; »viele Frauen im gebärfähigen Alter werden Söhne (von den Mädchen schweigt die Geschichte) bekommen. Jeder Sohn symbolisiert das Bekenntnis Immanuel, also »Gott ist mit uns«.

Hatten aber Kinder überhaupt eine Chance, in einer belagerten Stadt zu überleben? Durchaus. In der ersten Etappe ihres Lebens wurden sie durch die Milch ihrer Mütter ernährt und konnten so zu strammen Bürschchen heranwachsen. Danach gab es für sie Butter und Honig. Diese Form der Ernährung war eigentlich ein alter Hut, denn die Beduinen in der Wüste hatten diese Strategie zur Perfektion entwickelt. Durch Beobachtung über Generationen hatten sie herausgefunden, dass Butter in geballter Form tierisches Eiweiß enthält; Honig dagegen versorgt als Energieträger den Körper mit allen notwendigen Mineralien. Darüber hinaus konnte man ihn innerlich und äußerlich als Medizin verwenden. Ein paar Ziegen und Kühe ließen sich auch in einer belagerten Stadt halten; und Bienen hatten keinerlei Probleme, die feindliche Soldateska zu überfliegen. Die Bienen und ihre Züchter waren, so darf man sagen, die antike Form der modernen Stadtimkerei.

Damit verlassen wir die Welt von Ahas, Jesaja und den militärischen Konflikten im Nahen Osten und fragen uns auf gut Rheinisch, wat lernt uns dat? Veganer hätten in ihrer ideologisch begründeten Ablehnung aller tierischen Produkte, zu denen sie irrigerweise auch Honig zählen, keine Überlebenschance. Alle anderen, egal ob sie gläubig sind oder nicht, sollten sich stets daran erinnern: Mit Butter und Honig hast du alles, was du zum Leben brauchst. Gehe nicht denen auf den Leim, die dir hier Verzicht predigen wollen. Schließlich und endlich dürfen alle Imker mit stolz geschwellter Brust für sich in Anspruch nehmen, dass sie eines der gottgefälligsten, bewährtesten und seit Jahrtausenden unveränderten Lebensmittel den Menschen zur Verfügung stellen. Und das auch noch mit göttlichem Gütesiegel, das natürlich mehr ist als alle Bio-Siegel zusammen. Mehr geht wirklich nicht.

Ohne das Inkognito meiner Zueignung (s.o) lüften zu wollen, möchte ich doch noch so viel anfügen: A.M. kauft bei mir regelmäßig Honig. Die Gespräche in dem Zusammenhang empfinde ich als Bereicherung und möchte sie auch in Zukunft auf keinen Fall missen. Kürzlich hatte ich Anlass zu vermuten, dass er Jude sein könnte. Also fragte ich ihn. Lächelnd bestätigte er meine Ahnung. Gläubig sei er allerdings nicht. Wir haben beide einen deutschen Pass und höchstens trennt uns der Konfessions-Eintrag in der Lohnsteuerkarte. Doch A.M. kann machen was er will, die alttestamentliche Tradition ist und bleibt Teil seiner Identität; egal, ob er leicht oder schwer an ihr trägt. Er bleibt Jude. Ich hoffe, dass er, wenn er diese Zeilen liest, lächelnd feststellt, dass er der alttestamentlichen Tradition mehr verhaftet ist, als ihm heute selbst bewusst ist. Und mir und hoffentlich auch Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, fällt es wie Schuppen von den Augen, wie arm wir ohne die Geschichten von Abraham, David, Jesaja und dem Immanuel wären. Von den alten Über-Lebensmitteln Butter und Honig hätten wir jedenfalls auch keine Ahnung.