Innenwelt

Bienenstress

Jetzt ist Schluß sagte ich mir. Wiederholt hatten Brennnesseln vor meinem Bienenstand einen schmerzhaften Juckreiz ausgelöst. Mit einem Trimmer rückte ich dem Unkraut zu Leibe. Ich glaube eigentlich nicht, dass ich mit dem rotierenden Faden an die Paletten mit den Liebigbeuten gekommen bin. Egal. Plötzlich wurde es schwarz in den Fluglöchern. Im gleichen Moment fielen unzählige Bienen über mich her. Gegen das, was ist jetzt erlebte, waren die Brennnesseln ein Klacks. Ich warf den Trimmer weg und flüchtete.

Nach gefühlten 10 Minuten hatte ich reichlich Stacheln herausgezogen und mich halbwegs beruhigt. Vorsichtig ging ich zu den Bienen zurück. Dort herrschte ein ganz normaler Flugbetrieb. So, als ob nichts gewesen wäre. Jetzt wollte ich es ganau wissen. Mir war natürlich geläufig, dass die Bienen aggressiv werden, wenn man an ihrem Stock ruckelt. Um auf Nummer sicher zu gehen, schützte ich mich mit Schleier und Handschuhen. Ich warf den Trimmer an, und näherte mich zwei anderen Beuten auf dem gleichen Stand. 20 cm vor der Palette blieb ich mit laufendem Trimmer stehen. Wieder stürzten jede Menge Bienen mit einem aggressiven Ton auf mich, den man man nicht vergessen wird, wenn man ihn einmal gehört hat

Eine klassische Stressreaktion

Was mich die Bienen erleben ließen war eine klassische Stressreaktion. Ausgelöst wurde die offensichtlich durch die Vibration des Bodens und des Geräuschs des Trimmers. Stress löst immer zwei Reaktionsformen aus: Flucht oder Angriff. Alle anderen sind jetzt bis zur Bewältigung der aktuellen Situation ausgeschlossen. Vom Menschen bzw. allen Säugetieren war mir das geläufig. Später darüber mehr. Soviel allerdings doch noch: Was sich hinter dem Namen Stress verbirgt, ist ein hochkompliziertes, automatisch ablaufendes Überlebensprogramm, gesteuert wie von einem Autopiloten. Also willentlich nicht zu beeinflussen. Auch nicht beim bzw. durch den Menschen. Ohne das im Laufe der Evolution herausgebildete Verhaltensrepertoire gäbe es weder Bienen, Zebras noch Menschen.

Survival of the fittest

„Survival of the fittest“ („der optimal Angepasste lautet die korrekte Übersetzung und nicht „der Stärkere siegt“) lautet ein Grundgesetz der Evolution. Wenn sich Bienen bei Vibration und Lärm aus ihrer Behausung stürzen, reagieren sie auf zwei der größten Gefahren für sie: Der Baum mit ihrer Höhle könnte stürzen oder ein Bär möchte sie ausrauben.

Jetzt weiß ich: Der Superorganismus Bien reagiert grundsätzlich genauso wie alle Säugetiere einschließlich des Menschen auf gefahrenträchtige Situationen. Oder der Begriff Stress wäre im Blick auf die Bienen nicht verwendbar und deshalb in dem Zusammenhang als unbrauchbar abzulehnen. Was m.W. niemand ernsthaft tut. Im Gegenteil. So bringt jüngst die Zeitschrift „Test“ (Stiftung Warentest) in der Ausgabe 8/2013) ein Betrag zum „massenhaften Bienensterben der Bienen in Deutchland“, wird Prof. Jürgen Tautz zitiert. „Sind die Bienen durch Nahrungsmangel und Pestizide erst einmal geschwächt, kommt Ihr Immunsystem nicht mehr an gegen
Viren, Pilze, Bakterien und Parasiten« – was bei Menschen haargenauso abläuft. Das, so der Würzburger Forscher, sei seit 2002 zu beobachten. Auf dem Hintergrund verblüfft es mich, dass es in den mir bekannten Imker-Büchern kein eigenes Kapitel zum Komplex Stress bei Bienen gibt.

Nun würde es sich nahe legen, auf die böse Chemie und die Bauern (und Kleingärtner!) einzudreschen, die Pestizide und Herbizide in Wald und Flur verklappen. Manchmal immer noch nah dem Motto viel hilft viel. In der Bibel heißt es: »Wer unter Euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein auf sie«. Wem das zu fromm oder zu moralisch klingt, sollte sich an das Sprichwort erinnern, dass, wer im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen werfen soll. Und da hocken zahllose Imker, die für den Stresslevel ihrer Bienen mit verantwortlich sind. Die klagende Opferrolle steht den Bienenhalter nicht besonders gut zu Gesicht. Man kann es drehen und wenden wie man will: Sie sind im gleichen Maße auch Täter. Eine Feststellung, die allerdings auch nicht im Geringsten einen Persilschein für Bayer, Syngenta & Co. darstellt.


Zur Varroa-Problematik

Die asiatische Honigbiene apis cerana ist der ursprüngliche Wirt der Varroamilbe. In Ostasien können beide durchaus miteinander leben. 1977 ist varroa destructor erstmals in Deutschland nachgewiesen. Damit begann die Katastrophe, denn die hiesige apis mellifera ist der Milbe gegenüber intollerant.

Von Ostasien soll der Schädling eingeschleppt worden sein. »Eingeschleppt« klingt nach schulterzuckendem Fatalismus und der Überzeugung, dass daran eigentlich niemand schuld sei.

Das ist eine Legendenbildung, die sich genauso verbreitet hat wie die varroa destructor selbst. Doch die Frage nach den wahren Zusammenhängen muss gestellt werden, denn die Bienenforschung verfolgt bis heute weithin die gleichen Ziele wie in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Damals wollte man leistungsfähigere Königinnen züchten, um so höhere Honigerträge zu erreichen. Warum sollte mit den Bienen nicht möglich sein, was in der Milchproduktion der Kuhbauern schon längst Wirklichkeit war? Also importierte man asiatische Bienenköniginnen und kreuzte sie mit der hiesigen apis mellifera.

Forscher jubeln

Das Ergebnis ließ die Forscher jubeln. Niemand kam auf den Gedanken, die neuen Königinnen nicht sofort freizusetzen, sondern sie z. B. erst einmal auf einer Insel zu erproben. Doch wenn Wissenschaft den eigenen Ergebnissen gegenüber unkritisch wird, lauern die Gefahren. Bald nämlich merkten die Forscher, was ihnen da passiert war. Doch da war es bereits zu spät. Sie hatten eine Milbe nach Europa gebracht, die bisher auf Asien beschränkt war. Sind die dortigen Bienen ihr gegenüber tolerant, bedeutete es hier ein Todesurteil für alle Bienenvölker. Nicht einmal zu einer Entschuldigung sah sich einer der beteiligten Wissenschaftler genötigt.

Für die domestizierte Bienenpopulation entwickelte man bald Strategien, um die Varroamilbe zurückzudrängen. Nach allerlei Irrtümern gelang das auch. In einem stetigen, mehrstufigen Verfahren können die Imker ihre Völker überlebensfähig halten. Marianne Kehres beschreibt das sehr genau. Für die frei lebenden Bienenvölker gilt das allerdings nicht. Sie wurden alle dem Tode preisgegeben. Selbst wenn man hohle Baumstämme in urwaldähnlichen Wäldern erhalten würde, hätte apis mellifera auch hier keine Chance.

Ein vergleichbares Desaster ereignete sich übrigens auf dem amerikanischen Kontinent. Auch hier wollte man die heimischen Bienen durch eine gezielte Zucht aufpeppen. So wurden afrikanische Bienen importiert. Und plötzlich sah man sich bedrohlichen Killerbienen gegenüber. Von denen sticht nicht nur die eine oder andere, sondern das ganze Volk stürzt sich auf den vermeintlichen Feind, manchmal sogar mit tödlichem Ausgang. Imkerei ist dann nur noch unter sehr erschwerten Bedingungen möglich.

Aber gelernt hat man aus den Desastern kaum etwas. Der Wunsch, Hochleistungs-Königinnen zu züchten ist ungebrochen. Genau wie Rinder, bei denen es auch nur noch ganz wenige Zuchtlinien gibt, werden Königinnen mehr und mehr künstlich besamt. Für relativ kleines Geld kann sie der Imker kaufen und staunt in der Folge über seine großartige Honigernte. Hier und da hat man auch schon die Chancen genmanipulierter Veränderungen erfolgreich erprobt; nur mit der Patentierung wie beim Mais scheint es (noch) zu hapern.