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2.12.19 Sanftmütig

Am letzten Sonntag begingen Christen den 1. Advent. Wer an diesem Tag einen Gottesdienst besuchte, hörte oder sang mit Sicherheit den Choral »Macht hoch die Tür, die Tor macht weit«. In allen Gotteshäusern ist der Choral populär, gleichgültig, ob es sich um eine katholische, evangelische oder neuapostolische Kirche handelt.

In einem Vers des Liedes heißt es »Er ist gerecht, ein Helfer wert/ Sanftmütigkeit ist sein Gefährt«. Später wird auch ein Bibeltext aus dem Alten Testament verlesen. Da heißt es dann » Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel…“

Damit Sie, verehrte Besucherinnen und Besucher dieser Seiten nicht vermuten, dass es sich bei dieser Aufzählung von biblischen Sanftmut-Stellen um Zufallsergebnisse handelt, zum Schluß noch ein Zitat aus dem Galaterbrief. Da werden zunächst in einem Katalog alle möglichen Laster aufgezählt, danach dann die Tugenden. „Die Frucht aber des Geistes“, heißt es dort, „ ist Liebe… Glaube, Sanftmut, Keuschheit“. Jesus – das Vorbild für Sanftmütigkeit darf man ohne Übertreibung sagen.

Ob er in eine Bibelstunde geraten sein, mag jetzt der eine oder die andere mit hochgezogenen Augenbrauen fragen. Wir geben Entwarnung. Hier soll lediglich der Frage nachgegangen werden, wie Sanftmut zum Selektionskriterium in der Bienenzucht werden konnte.

Wenn in einem Chat (s.u) jemand fragt, man möge doch bitte erst einmal Sanftmut definieren, wollen wir uns hier nicht daran versuchen. Aber auf die sprachlichen, geschichtlichen und religiösen Zusammenhänge von Sanftmut hinzuweisen fühlen wir uns schon verpflichtet.

Warum – das sei hier eingeschoben – der Begriff gerade in der Imker-Welt überlebt hat, können wir lediglich vermuten. Doch auffällig ist die ungebrochene Kontinuität von Sanftmut bei den Bienen-Freunden als einem wie selbstverständlichen Wert schon. Oder können Sie sich vorstellen, dass in einer Heiratsanzeige jemand eine „sanftmütige“ Frau sucht oder ein weibliches Wesen sich am gleichen Ort als „sanftmütig“ anpreist? Genauso wenig vermag man sich vorzustellen, dass Eltern Sanftmut als eines ihrer herausgehobenen Erziehungsziele bezeichnen.

Sanftmut ist eines der primären Selektionskriterien in der Bienenzucht. Das ist unstrittig. Von Stechern möchte niemand attackiert werden. Doch welche Bienenrassen schon von Hause aus besonders sanftmütig sind und welche nicht, darüber streiten sich Imker im Zweifelsfall ziemlich unsanft.

Wir wollen uns an dieser Stelle auf keine Seite schlagen. Sanftmut als primäres Selektionskriterium in der Zucht von Honigbienen sehen wir allerdings nicht unkritisch. Die Evolution hat Bienen sinnvollerweise mit einem Stacheln ausgestattet. Deshalb sollten Menschen ihnen den nicht „abgewöhnen“. Bienen bleiben Wildtiere, auch wenn ihre Massierung unter der imkerlichen Fuchtel die Anmutung von Massentierhaltung bekommen kann.

Schwärme nämlich können den Weg in die freie Natur zurückfinden. Ihr Überleben ist dort allerdings alles andere als leicht. Sanftmütige Bienen aber, so vermuten wir, haben es in dem Prozess noch ungleich schwerer.