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10.12.17 Falscher Schein

Zu meiner Lieblingslektüre am Sonntag gehört die Wochenendausgabe der „Süddeutschen“. Ich beginne nie vorne, sondern greife als erstes zur Beilage „Stil“. Die hinterließ wiederholt Spuren in meinem Leben. Da wurde mal ein kluger Mensch mit der Maxime zitiert: „Egal, was Sie trinken, trinken Sie es aus Camparigläsern“. Wirklich eine frappierende Luststeigerung.

Dann gibt es eine Seite „Stil Test“. Hier wurden u.a. Zahnseide, Papiertaschentücher und Butter getestet. Nicht anonym in einem Labor, sondern von ausgewiesenen Praktikern. Die vergeben Punkte von 1- 10. Der Testsieger wird besonders herausgestellt; also ähnlich wie bei der „Stiftung Warentest“. Alles machte bisher einen verläßlichen und soliden Eindruck.

Von der Einschätzung habe ich mich beim Test dieses Wochenendes für’s erste verabschiedet. Da ging es unter der sinnigen Überschrift „Es brennt“ um Kerzen. Doch hier leuchtete nicht das Licht der Aufklärung, sondern waberte der diffuse „Geist geistloser Zustände“ (Karl Marx). Ein falscher Schein lag über allem.

Im Vorwort wird die durchaus sinnige Frage gestellt: „Welche taugen wirklich?“ Die einzig richtige Antwort müßte lauten: Keine der abgebildten Kerzen taugt etwas, weil sie entweder Ihrer Gesundheit, der Umwelt oder allen dreien schaden.

Auf den ersten Blick fällt auf: Alle Kerzen sind gefärbt. Doch das Abbrennen von Farbstoffen setzt in der Regel Giftstoffe frei. Die eine oder andere Kerze enthält womöglich Duftstoffe, die im Verdacht stehen Allergien zu verursachen.

Einige Kerzen bestehen zu 100 Prozent aus Parrafin. Wie überhaupt 75% der deutschlandweit verkauften Kerzen aus diesem Abfallprodukt der Schmierölindustrie stammen. Wenn Sie also Kopfschmerzen beim Abbrennen solcher Leuchtmittel bekommen, müssen Sie sich nicht wundern. Auch der Schaden für die Umwelt ist immens: Das Abbrennen von 150.000 Tonnen Paraffinkerzen alleine in Deutschland setzt – rein rechnerisch – jährlich rund 525.000 Tonnen CO2 frei.

Parrafin, gestatten Sie die kurze Abschweifung, wird auch zum Einwachsen Skiern, Snowboards und Schlittenkufen verwendet. Die folgenden Sätze fand ich in einer Chemie-Seite

„Die eingewachsten Sportgeräte hinterlassen eine Spur von Paraffin. Da die vielbefahrenen Pisten nach der Schneeschmelze meist als Viehweiden genutzt werden, wird am Gras klebendes Wachs von den Tieren aufgenommen. Vor allem im Start- und Zielbereich der Pisten kann die Paraffinkonzentration hoch sein und den Boden schädigen. Als Ersatz bietet sich Bienenwachs an, welches abbaubar ist“. Warum die Sportfans kein Bienenwachs benutzen? Ganz einfach, weil Geiz eben geil ist. Lass doch die anderen bezahlen, in dem Fall die dummen Kühe.

Zurück zum Kerzentest. Eine von ihnen besteht aus 100 % Stearin, andere enthalten ein Gemisch von Parrafin und Stearin. Stearin gilt als aus pflanzlichen und tierischen Fetten zusammengesetzt. Klingt erst einmal gar nicht so schlecht. Doch schaut man genauer hin, ist auch hier die Umweltbilanz verheerend. Stearin besteht vor allem aus Palmölprodukten. Sie erinnern sich richtig: Brandrodungen in Indonesien und Malaysia haben die Urwälder in Südostasien dramatisch reduziert. Man muß es so klar sagen: Für den stimmungsvollen Kerzenschein haben die Orang-Utans mit der Vernichtung ihres Lebensaumes bezahlt.

Die Stil-Seite hat auch einen Kerzenexperten gewonnen. Er ist Mesner und Diözesanleiter im Erzbistum Müchen. „Knapp 20 Jahre ist Edward Kadoch schon für die Vorbereitung von Gottesdiensten und kirchlichen Feiern zuständig“, heißt es auf der Test-Seite der „Süddeutschen“.

Es verblüfft wie befremdet, dass sich unter den getesten Kerzen keine aus Bienenwachs befindet. Nun wissen wir nicht, wer die Testobjekte ausgewählt hat, unterstellen aber, dass der Experte dabei ein Wörtchen mitzureden hatte. Gewiss wird der kirchliche Angestellte wenigstens in groben Zügen über die Bedeutung von Bienenwachs bei den Altarkerzen informiert sein. Heute reichen peinliche 10% für den liturgischen Gebrauch. Auch so kann man Geld sparen und verschleudert dafür eine große Tradition (s. auch Blog vom 15.11.16).

Man kann Bienen nicht nur durch Pestizide töten, sondern auch durch Traditionsvergessenheit. Das muß sich auch der Mesner und Kerzenexperte vorhalten lassen. Es gab Zeiten, in der den Bienen wie ihren Erzeugnissen Honig und Wachs eine besondere Hochachtung entgegengebracht wurde. In einer alten Legende heißt es: „Als Christus ans Kreuz geschlagen wurde, tropfte sein Blut auf die Erde; angelockt durch die Süße der roten Tropfen flogen Bienen herbei und sammelten das Blut Christi ein.“ So wird Honig zum Symbolträger des Blutes Christi und der Heiligen Schrift.
Bienenwachs galt über die Jahrhunderte als rein und unvergänglich. Es bekam seine Bedeutung durch den Bezug zur Geburt Christi aus der Jungfrau Maria, da die Bienen ebenfalls als jungfräulich galten. Wie im Dahinschmelzen des Wachskörpers so erfüllt Jesus Christus in der Hingabe von Leib und Blut seinen göttlichen Auftrag.

Wenn das in Ihren Ohren befremdlich-fromm klingt: Der Schreiber dieser Zeilen ist ein in der Wolle gefärbter, nüchterner Protestant. Der ärgert sich nur über seine geschätzte „Süddeutsche“, die das von ihr sonst hochgehaltene Licht der Aufklärung in diesem Test unter den Scheffel gestellt hat. Wo es auch der christ-katholische Tester vor sich hinrußen läßt.

Die gute Nachricht für beide: Die Adventszeit ist im Kern eine Bußzeit, deren Chancen man nur nutzen muß.