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30.12.19 Fontanes Honig

Heute stehen die Feuilletons ganz im Zeichen von Theodor Fontanes 200. Geburtstag. Bei der Lektüre haben wir erfahren, wie der Autor der „Wanderungen“ und Romanen wie „Effi Briest“ und „Der Stechlin“ arbeitete.

Hier nur so viel: Fontanes Stil prägte seine langjährige Tätigkeit als Journalist. Sein Verfahren bestand in der Einbindung von Familie und Freunden bei der Suche nach unterschiedlichsten Materialien. Die baute er dann in seine Texte ein.

Im Zusammenhang unseres globalen Themas Bienen &Honig kann man das schön erkennen. Da begegnet an mehreren Stellen im „Stechlin“ der Lehrer Krippelstapel. Interessante & schön zu lesenden Einzelheiten mögen Sie unserem Eintrag vom 15.2.17 entnehmen.

Der Schulmeister erweist sich auf den unterschiedlichten Gebieten up to date & verfügt über eine wissenschaftlich-praktische Expertise.

Ach, wenn es doch noch solche Lehrer gäbe, denkt der heutige Leser: wir müßten uns über Deuschlands Abschneiden beim Pisa-Test keine Sorgen machen. Krippenstapel nutzt, um wieder auf unsere Thema zu kommen, in Fontanes Beschreibung keine „altmodischen Bienenkörbe, sondern richtige Bienenhäuser, nach der Dzierzonschen Methode, wo man alles herausnehmen und jeden Augenblick in das Innere bequem hineingucken kann“. Wie bitte, mochte sich damals der landläufige Leser irritiert gefragt haben, der nur Strohkörbe als Behausungen für Bienen kannte.

Der begnadete katholische Geistliche Johann Dzierzon bewegte damals die weltweite Imkerszene. Der katholische Pfarrer aus Schlesien beschäftigte sich so intensiv mit seinen Bienen und ihrer Erforschung, dass er schon mal Beerdigungen und andere Amtshandlungen vergaß. Was den kirchlichen Oberen selbstredend mißfiel.

Richtig Ärger bekam er aber mit der kirchlichen Hierarchie, als er die sog. Parthenogenese d.h. die Jungfrauengeburt bei den Bienen entdeckte; zielte er damit womöglich indirekt auf das Alleinstellungsmerkmal der Gottesmutter Maria? Vor Dzierzon Augen hatte eine unbegattete Weisel unbefruchtete Eier gelegt, aus denen dann Drohnen schlüpften.

Dzierzons entscheidende Entdeckung bedeutete eine Zeitenwende in der Bienenhaltung. Früher mußte man für die Honigernte einzelne Waben herausschneiden – und zerstörte mit diesem Eingriff zwangsläufig das ganze Volk. Durch die beweglichen Rahmen konnte man jetzt nach Bedarf einzelne Waben ziehen, ohne das Volk zu schädigen.

Gegen Ende des Romans macht Krippenstapel dem alten Major Dubslaw v. Stechlin einen Krankenbesuch. Der Lehrer trägt ein übermaltes Gefäß mit einem Deckel darauf in seinem Arm. Ob er ihm eine Urne, Terrine oder Krankensuppe bringe, fragt der ironisch-heiter gestimmte Baron seinen Gast.

»Nein, Herr Major, keine Krankensuppe“ antwortet der. „Gewiß nicht. Und doch is es einigermaßen so was. Es ist nämlich ‘ne Wabe. Habe da heute mittag einen von meinen Stöcken ausgenommen und wollte mir erlaubt haben, Ihnen die beste Wabe zu bringen.“

Der alte Baron freut sich aufrichtig über das Geschenk. Doch ob er fragt sich, ob er überhaupt zulangen dürfe. Von allen Seiten bekäme er Diätvorschriften. „Immer heißt es: › Das nicht.“
Der gelernte Apotheker Theodor Fontane weiß es besser und läßt den Lehrer sagen: »Am Ende geht es doch«, sagte Krippenstapel. »Ich weiß wohl, in eine richtige Kur darf der Laie nicht eingreifen. Aber der Honig macht vielleicht ‘ne Ausnahme. Richtiger Honig ist wie gute Medizin und hat die ganze Heilkraft der Natur.«

Davon läßt sich der alte Major überzeugen und er beschließt sich die Wabe schmecken zu lassen. Bald geht es mit ihm wieder etwas bergauf. Zu seinem alten, vertrauen Diener Engelke sagt er nach einer Woche »daß ich mich wieder wohler fühle, das macht die Wabe. Denn man muß jedes Fisselchen mitessen, Wachs und alles, das hat er mir eigens gesagt. Das is gradso wie beim Apfel die Schale; das hat die Natur so gewollt und is ein Fingerzeig und muß respektiert werden.«

Aber irgendwann kommt auch die Wirkung der Wabe an ihr Ende. Der Patient schläft zunehmend schlechter. Da kommt es zu einem bemerkenswerten Dialog. Als am Morgen der treue Diener das Frühstück bringt, sagte Dubslav: »Engelke, schaff die Wabe weg; ich kann das süße Zeug nicht mehr sehn. Krippenstapel hat es gut gemeint. Aber es is nichts damit und überhaupt nichts mit der ganzen Heilkraft der Natur.«

Doch der altersweise Engelke weiß es besser. »Ich glaube doch, gnädiger Herr. Bloß gegen die Gegenkraft kann die Wabe nicht an.« Der alte Major fragt gezielt nach: »Du meinst also: ›Für ‘n Tod kein Kraut gewachsen ist.‹ Und nach einer Pause. “Ja, das wird es wohl sein; das mein’ ich auch.« An der Stelle heißt es im Roman: “Engelke schwieg”.

Wir müssen es nicht. Wir sind uns sicher, dass der gelernte Apotheker Theodor Fontane im “Stechlin” seinen Lesern bis heute eine der schönsten und klügsten Honigverordnungen weitergereicht hat, die man sich vorstellen kann. Und dabei imkerte der Autor nicht einmal selbst, sondern war, obwohl in Neuruppin geboren, eine typisch Berliner Großstadt-Pflanze.

Doch ob sich Fontane selbst an sein Honig-Rezept gehalten hat, wissen wir nicht. Bekannt ist, dass er aus Angst vor Erkältungen allerlei Vorsorgemaßnahmen traf. Nur, ob dazu auch der regelmäßige Griff zur “Wabe” gehört hat, bleibt im Dunkel. Immerhin wurde der Autor 78 Jahre alt.

Irgendwann las ich, dass 20% aller über 100 Jahre alten Zeitgenossen Imker gewesen seinen. Vielleicht hätte Fontane selbst im Blick auf ein längeres Leben nach der Dzierzonschen (der Geistliche selbst wurde 96 Jahre alt) Methode imkern sollen?

Was für uns, seinen lesenden Verehrern, viele weitere Bücher beschert hätte. Da jedenfalls sind wir uns ganz sicher.